64-Kanonen-Schiff

Wie das britische 74-Kanonen-Linienschiff entstand der Zweidecker von 64 Kanonen (wie der 74er als 3rd rate klassifizert) unter dem Ersten Seelord Anson und den von ihm geförderten Konstrukteuren Slade und Bately. Hauptsächlich können diese Schiffe als Vergrößerungen des alten 60ers betrachtet werden , aber in die Entwürfe flossen noch andere Konstruktionen ein; man verkleinerte die alten 70er und benutzte in einem Fall auch die Linien einer Fregatte (Lavery, Line.. S.20). Während der 74er bald als idealer Kompromiß aus Kampfkraft, Segeleigenschaften, und Kosten empfunden wurde, war das wesentliche Argument für seinen kleineren Bruder der geringere Preis. Obwohl es zunächst einen Entwurf gab, der eine 36-Pfünder- Unterbatterie tragen sollte wie der 74er, entschloß man sich bald für den 24 Pfünder, und damit war das Breitseitengewicht der 64er deutlich geringer als jenes des 74ers. [Vergleich Breitseitengewicht] Im allgemeinen galten die 64er, im Gegensatz etwa zu den kleineren Zweidecker-Geschwistern der 50er-Klasse, nicht als schlechte Seeschiffe. Über die INTREPID (1770) wurde berichtet, daß sie alle Schiffe ihres Geschwaders aussegeln könne (allerdings schränkte der Kapitän ein, she stands too stiff under a gale as line of battle ships generally do); einige Schiffe waren sogar besonders schnell, so HECTOR, der 14 Knoten erreichte- aber da die Proportionen des Schiffs weniger ausgewogen waren als jene des 74ers, waren sie diesen insgesamt oft unterlegen. Während die kampfkräftigeren 74er vor allem in den Schlachtflotten benötigt wurden, konnten die 64er sie auf ökonomische Weise von sekundären Aufgaben wie die Funktionen als Konvoibegleiter, Flaggschiff auf kleineren Stationen oder bei amphibischen Operationen entbinden (Lavery I, S. 107). Nelsons Lob für seinen 64ers AGAMEMNON änderte nichts daran, daß er in den 1795 in der Marine als äußerst unbeliebt galt. Daß European Magazine behauptete: There is no difference of opinion respecting 64-gun ships being struck out out of the rates. It is a fact that our naval officers either pray or swear against being appointed to serve on board them. (zitiert bei Lavery I, S. 126)
Bereits 1782 war das letzte Schiff dieser Größe für die britische Marine bestellt worden; als ein Zeichen für die Geringschätzung der 64er als Schlachtschiffe mag man die Reduzierung der Schiffe ANSON und INDEFATIGABLE - letztere gerade 10 Jahre alt - zu schweren Fregatten betrachten können; die Indefatigable zeichnete sich immerhin als Fregatte unter Edward Pellew aus. 1796 wurden fünf im Bau befindliche Ostindienfahrer angekauft und als 64er in die Flotte eingereiht, aber dies war lediglich ein Notbehelf. Der Bedarf an Schiffen war derart groß, daß trotz allgemein anerkannter Unbrauchbarkeit des Typs größere Zahlen dieser obsoleten Schiffe bis zum Ende der napoleonischen Kriegen in der Marine dienten.

Früher als die Briten gaben die Franzosen den Bau von 64ern auf; 1779 wurde das letzte Schiff gebaut (etwas früher als bei den Briten), aber schon Jahre 1790 soll nur noch ein einziger 64er in der französischen Marine existiert haben. Knapp 30 Jahre zuvor galten diese Schiffe in Frankreich noch als gute, kampfkräftige Schiffe, die sich zusammen mit 80ern und 74ern zur Bildung schneller, kampfkräftiger Geschwader eigneten.
Parameter (französisches Maß):
Sie waren 160 Fuß lang, 40 breit und besaßen Besatzungen von bis zu 500 Mann.
Bewaffnung (französisches Maß):
Die Schiffe trugen im unteren Batteriedeck sechundzwanzig 24-Pfünder und im oberen achtundzwanzig 12-Pfünder und auf den Aufbauten zehn, jedoch gab es auch Schiffe bis ca 165 Fuß, die sechundzwanzig 24-Pfünder, achtundzwanzig 18-Pfünder und zehn 8-Pfünder trugen.
Etliche ehemalige französische 64er erlebten die Kriege ab 1793 auf britischer Seite, einige waren sehr alte, schon im 7-Jährigen Krieg erbeutete Schiffe. Es erschienen noch einmal zwei 64er in der französischen Marine, und zwar der 1798 von den Maltesern erbeutete, betagte SAN ZACHARIA von 1763 (frz: DEGO) und SAN GIOVANNI von 1796 (frz ATHENIEN). Beide Schiffe wurden bald von den Briten gekapert.

Lange hielten die Niederländer am Bau von Schiffen mit 64, 66 und 68 Kanonen fest, die somit einen recht großen Anteil der Flotte bis in die napoleonische Zeit hinein ausmachten. Insgesamt wurden 1796-99 vierzehn Schiffe dieser Größenordnung durch die Briten gekapert.

[Parameter Intrepid]
[Parameter Caton]
[Parameter Haarlem]


Literatur:

Goodwin, Peter: Nelson's Ships
Lavery, Brian: The Ship of the Line, in: Robert Gardiner (Hrsg.): The Line of Battle.
Lavery, Brian: The Ship of the Line. 2 Vols.
Mayer, Jean; Acerra, Martine: Segelschiffe im Pulverdampf
Winfield, Rif: British Warships in the Age of Sail 1793-1817


 64 Gun Ship

 Vaisseau de 64 Canons